Hanf ist eine bereits sehr lange bekannte und weltweit verbreitete Nutzpflanze zur Gewinnung von Fasern und ölhaltigen Früchten. Schon der römische Historiker und Schriftsteller Plinius der Ältere (23-79 n. Chr) berichtet im 19. Buch seiner "Naturalis historia" von dieser vielseitigen Pflanze. Sie stammt aus dem nördlichen Zentralasien und gehört zur Familie der Brennesselgewächse, ist einjährig und bildet nur einen Stängel, der, je nach Sorte bis zu zwei bis dreieinhalb Meter hoch werden kann. Die Stängel sind vierkantig und dick, die Blätter handförmig geteilt und aus fünf bis sieben länglichen Abschnitten zusammengesetzt. Der Hanf ist zweihäusig. Die weibliche Pflanze (Mastel) ist größer und reift später. Die rispenartigen Blütenstände befinden sich in den Achseln der oberen Laubblätter. Zahlreiche Früchte reifen an der weiblichen Pflanze. Die männlichen Pflanzen (Femmel/Fimmel) tragen Blüten mit je fünf hängenden Staubblättern. Entsprechend der Länge und Dicke der Hanfstängel bilden sich in der Rinde mehrere Bastfaserringe aus; im unteren Ende am meisten, nach oben hin abnehmend. Hanf gedeiht am besten im gemäßigten, feuchtwarmen Klima des Mittelmeerraumes und der Subtropen. Der Boden muss tiefgrundig, humus- und kalkhaltig sowie stickstoffreich sein. In Deutschland ist der Hanfanbau seit 1981 wegen der Gefahr des Drogenmissbrauches verboten.
In früheren Zeiten war der Hanf eine der wichtigsten Faserpflanzen unserer Gegend. Gerade das fruchtbare Gelände der Rheinebene, vor allem die so genannte Niederterasse, eignet sich in besonderem Maße für den Hanfanbau. Niederterasse ist die Bezeichnung für die leichte Bodenerhebung, die von Norden nach Süden zwischen dem Bruchgebiet des Rheines und dem ehemaligen Kinzig-Murggraben verläuft, die heute nur noch in Teilen erhalten ist, da sie im Laufe der Jahrtausende von vielen großen und kleinen Gewässern ausgewaschen wurde. Sie entstand wahrscheinlich durch Anwehungen in den Zwischeneiszeiten. Die Gemarkung der Gemeinde Rust bot durch den vielverzweigten Rhein mit seinen Nebenarmen, Gießen und Bächen ideale Voraussetzung zum Hanfanbau und vor allem zu dessen aufwendiger Verarbeitung.
In der Regel wurde die Hanfsaat im Monat Mai ausbracht, die mit der beginnenden Sommerwärme sehr schnell zu keimen und zu wachsen begann. Nicht umsonst besagt die Redensart, dass etwas wie der Hanf wächst. Die Reifezeit trat beim Hanf in der zweiten Augusthälfte ein. Wenn nur die Fasernutzung vorgesehen war, wurde nach Abblühen der männlichen Pflanze, rund hundert Tage nach der Aussaat, und nach Abwerfen der vergilbten Blätter, geerntet. Die männliche Pflanze wird zuerst reif, die weibliche zwei bis drei Wochen später. Deshalb wurden die weiblichen Stauden teilweise sogar erst im Oktober geerntet, da diese bei der Ernte des "Fimmels" noch völlig grün waren.
Die Ernte erfolgte durch herausziehen (liechen) der Pflanzen. Die Frauen gingen voraus und rissen die dünneren Stängel heraus, die gesondert zusammengebunden wurden, weil sie den wertvolleren Fein- oder Spinnhanf ergaben. Ihnen nach folgten die Männer, die sich, meist mit ledernem Fingerschutz versehen, um die stärkeren Exemplare kümmerten. Die zusammengebundenen Hanfbündel in Größe einer Getreidegarbe wurden Schauben genannte.
Um nun die Faser aus ihrer Verbindung mit dem Holz und der Rinde zu, lösen leitete man einen Fäulnis- bzw. Gärprozess, die "Rötze", ein. Dazu legte man die "Schauben" in künstlich angelegte Teiche oder gestaute Wasserläufe mit geringer Fließgeschwindigkeit, bedeckte sie mit Bohlen, die meist aus Erlenholz waren und beschwerte das Ganze mit so genannten Rötzsteinen, bis der Hanf völlig untergetaucht war. Ließ sich nach etwa einer Woche die obere Grünschicht von den Stengeln abstreifen, kam der Hanf aus dem Wasser, sonst wäre er "verrötzt". Die gerötzten Schauben wurden aufgebunden und auf dem Acker zum Trocknen gespreitet.
Schon seit alters her versuchten die Menschen das Trocknen des Hanfes vom Wetter unabhängig zu machen. Mancherorts benutzte man so genannte "Hanfdarren". Das waren rechteckige Gruben, die mit frisch geschlagenen, grünen Pfählen belegt waren, so dass eine Art Rost entstand, auf den dann der Hanf gelegt wurde. Darunter wurde ein Feuer entfacht, das den Hanf dann trocknete. Daneben ersannen die Menschen auch noch allerlei andere, nicht immer ungefährliche Methoden, der Witterung ein Schnippchen zu schlagen und den Hanf, vor allem in feuchten Jahren, zu trocknen.
So berichtet uns die Dorfordnung der Gemeinde Rust von 1565: "Dieweil sich auch ettliche gelusten laßen, den Hanf in den Stuben, Bachöfen oder sonst zu dörren, auch auf den Biehnen bey Liecht zu hächeln, darauß dann unterschiedlichen mahlen Feüwer und Brünste entstanden, auch durch solche Fahrläßigkeit eine ganze Gemeinde und Bürgerschaft beschädigt werden könnte.."1
Beim nachfolgenden "Schleißen" d. h. Schlenzen, wurden die Stengel gebrochen und mit einem Däumling die groben Fasern abgeschlenzt. Diesen Schleiß- oder Grobhanf, der den Hauptanteil der Ernte stellte, drehte man zu kleinen Bündeln und verkaufte sie nach Gewicht zur Herstellung von Seilen und Säcken.
Beim nächsten Arbeitsgang musste die Faser von allen unbrauchbaren Stengelteilen befreit werden. Dies geschah zuerst mit der Hanfbreche, die nur zwei Längshölzer hatte und dann mit der Knitsche mit drei Längshölzern. Der Hanfbrecher nahm jeweils eine Hand voll bzw. "Hampfel" und bearbeitete sie von beiden Enden her. Die körperlich anstrengende Arbeit an der Breche besorgten die Männer, das Knitschen die Frauen
Nun wurde der Brechhanf gehechelt. Die Hechel war ein Brett, in das Nägel eingeschlagen waren und ca 10-15 cm herausstanden. Man unterschied dabei Grob- und Feinhechel. Durch dieses Kämmen wurden die restlichen Holzteile entfernt. Das fertiggechelte Faserbündel hieß "Riste". Die erste Riste war lang. Beim nochmaligen Auskämmen gab es eine kurze Riste. Als letzter Rest blieben wirre grobe Fasern, der "Kuder" d.h. Werg.
Der Brechhanf kam nun in die Plauel. Sie erhielt ihren Antrieb durch Wasserkraft. Das Wasserrad setzte eine starke Zapfwelle in Bewegung, deren Holzzapfen starke Eichenbalken hoben und fallen ließen. Dabei säuberten sich die Fasern, sie wurden weicher und feiner. Bei der Hanfreibe trieb das Wasser, ähnlich der Ölmühle, einen schweren glockenförmigen Stein, der rundum lief. Auf seinem Bett wurde der Hanf ausgelegt und der Stein lief über das Bündel bis auch die letzten Nebenstoffe vom Gespinst beseitigt waren.
Schon das "Zinsbuch der Ruster Bürger" der Jahre 1434-1456 berichtet von einer Plauel.2 Es hält fest, dass der Schultheiß Werlin Sur für eine "Bluwel stat", die er von der Gemeinde gepachtet hat und "an den Wylgen" (Weiden) gelegen ist, 2 1/2 Schilling Zins bezahlt. Daß diese Eintragung aber wieder durchgestrichen ist, zeigt dass der Schultheiß wohl recht bald wieder von dieser Beschäftigung Abstand genommen hat. Sein vermutlicher Nachfolger scheint die Arbeit an der Plauel etwas intensiver betrieben zu haben. Denn die gleiche Quelle berichtet in den Nachträgen davon, dass "Nagel Laewly " von Grafenhausen die Erlaubnis erhält Holz zu schlagen, aus dem er ein Wehr zur Stauung des Baches sowie eine Plauel herstellt. Das Wehr benötigt er um den Wasserdruck auf das Antriebsrad der Plauel zu erhöhen.
Auch eine Hanfreibe nannte die Gemeinde ihr eigen. Im Pachtvertrag für die gemeindeeigene Mühle von 1768 erscheint als Bestandteil des Vertrages, eine an der Mühle gelegene Hanfreibe mit zwei Betten.3
Die Böcklins, als Ortsherren, besaßen ebenfalls solche Einrichtungen. Im Jahre 1759 verlehnen sie die herrschaftliche Hanfreibe an Matthäus Metzger um 40 Gulden jährlichen Zinses,4 und 1783 erwähnt eine Deklaration des Franz Friedrich Sigmund Böcklin von Böcklinsau eine "Plauelmatte".5
Somit ist klar, die heutige Gewannbezeichnung "Blaumatte" hat nichts mit der Farbe blau zu tun, sondern geht auf den früheren Standort einer "Hanfplauel" zurück.
Die gemeindlichen Einrichtungen lagen wohl bei der Mühle, diejenigen der Ortsherrschaft im Bereich der heutigen Blaumatte. Wann sie aufgegeben wurden lässt sich nicht mehr feststellen.
Nach dem Plaueln und Reiben wurde der Hanf nochmals durch die Feinhechel gezogen, um die Fasern zu ordnen. Aus den langen Fasern entstanden feine Leinengewebe, aus den kurzen der Zwillich. Den Kuder brachte man dem Seiler.
Aus den gesponnenen Fasern wurde nicht nur Stoff für den Eigenbedarf gewoben. Darüber hinaus sollte der Hanf noch Geld einbringen. Deshalb wurden die Gewebe auf dem Markt im nahen Ettenheim feilgeboten. Daneben wurde aber auch der noch unbearbeitete Faserstoff sowie das fertig gesponnene Garn verkauft.
Welche große Verbreitung und Gewicht der Hanfanbau in der Gemeinde Rust noch im 19. Jahrhundert hatte zeigt ein Blick auf ein Flurkarte des Jahres 1874. Darauf sind allein im Gewann Allmend 70 "Hanfreezen", in den Gewannen "Stockfeld", "Stein" und "Latscht" rund 50 eingezeichnet. Dies sind zusammen 120 Hanfrötzen. Ausgehend von einem "Verzeichnis der Hofreuten" des Jahres 1855, das uns 261 Häuser nennt6, kommt man zu dem Schluss, dass fast jede zweite Haushaltung etwas mit der Hanfverarbeitung zu tun hatte. Dabei ist unberücksichtigt, dass eine Hanfrötze möglicherweise von zwei Parteien genutzt werden konnte.
Ein Katasterplan des Ortes bezeichnet heute noch das Gebiet zwischen der Rheingießenhalle, dem Fußgängerweg zum Hallenparkplatz und der Ritterstrasse als "Hanfgarten".
Auch der Name der Name der 1954 gegründeten Narrenzunft "Hanfrözi" erinnert an die fast vergessene Nutzpflanze. Er entstand in Anlehnung an eine angebliche Geistergestalt, die in vergangenen Zeiten auf den Hanfrözen ihr Unwesen getrieben haben soll. Diese wurde in der Narrenfigur des "Rözi-Hansele" wieder belebt. Damit hat sich, wenn auch nur im Brauchtum, die Erinnerung an die für unsere Vorfahren wichtige Pflanze erhalten.
Dorfes Rust" von 1565)
1459; 1495)
lichen Hanfreibe" 1759)
Reibmatte" 1783)
vorindustriellen Zeit. Lahr, 1977.
Schwarzwald Nr.2 und 3, 1938)